Gefälligst leben

Sie hat die Ordnung zum Leben, sie hat die Wut zum Leben, sie will weiterleben. Ihre Krankenhäuser benutzt sie zum sich Hospitalisieren, sie liegt dort und steht und geht dort, und die Krankenhäuser geben ihr Urlaub.

Ich bin im Urlaub vom Krankenhaus und habe mir den Freispruch von der Arbeit erkämpft. Unter meiner Sonne liegt meine Mondin (plattgepreßt wie Blüten im Lexikon), darunter die Venus, und der Saturn verdämmert am Horizont. Recht hast du, sagt sie sich selbst und die Wahrheit sagst du, sagte sie sich selbst, und ich bin eine Sie, die dem Männlichen ausweicht, es nicht versteht, kaum anbändelt. Jetzt nicht jedenfalls.

Hochaufgewürfelt sind die Holzscheiben und darüber Klötzchen. Auf dem Boden liegen die Kinderschuhe, und auf der Straße gehen die Kinder geradewegs zum Hort, zum Kindergarten, zur Schule nicht mehr so oft in Begleitung der Mutter. Ich rastere mir meinen Weg. Die Büdchen und die Läden stehen mir wieder offen. Ich bin in Urlaub und habe gefälligst zu leben, weil selbst wenn geschnitzte Schlangen sich an den Hals des Kranichs hängen, er sich schüttelt und mir seine Schwingen zeigt. Weil die Sonne auch hinter den Wollen scheint. Weil die Mondin nachts manchmal auch mir ihr Gesicht zeigt. In der Zeit, wo das Telefon erreichbar ist, will ich leben. Den Fernseher könnte ich eigentlich verkaufen. Die Stühle hingegen sind soweit in Ordnung. Die Säbelrassler sind nicht hier, sondern klingen zu laut, um endlos zu schlafen. Die Luftwaffenbomber und die Bodenkrieger lassen sich zusammenfassen als kriegführende Parteien. Das verdunkelt den Tag, dennoch will ich leben, um den Krieg zu verhindern, große Einbildungen zu kreieren und mich auszuruhen, bis ich in mir zusammenlaufe, um wieder die Arme schwenken zu können. Außerdem will ich noch einmal bei Frühlingsluft auf dem Fahrrad zum 1. Mai fahren. Ich will noch einmal Beethovens Sinfonien hören und die gehörnte Eidechse sehen, die Pfirsichsaft dann, erst dann von meinen Beinen lecken darf.

9.2.1994

(In: Du weckst die Nacht. Prosaminiaturen. Neuss 1994, S. 126f.)