Schwestern

Käme uns die Trauer gemeinsam zu oder können wir gemeinsam lachen? Die Schwestern brauchen sich, aber verzichten aufeinander. Immer kauften sie zwei Pullover, für beide die gleichen. Einer für dich und einer für mich. Eine von beiden hatte nun ein Kind. Das hatten sie nicht gemeinsam gemacht. Das Kinderspielzeug auf dem Boden der Küche bildete eine Landschaft. Sie saßen zusammen und fühlten sich sicher. Sie schäkerten, waren nicht mehr Kinder. Morgens früh in der Küche. Regenschauer. Lange stand das Frühstück auf dem Tisch, ohne daß sie in Erinnerungen gerieten. Das Kind war präsent, es forderte in der Gegenwart. Sie spielten miteinander mit Worten. Sie würden sich immer aufs neue umarmen, sie saßen gar nicht so redselig zusammen. Sie knoteten sich die Haare nicht, sie streichelten das Kind, wenn es unruhig wurde. Es lief um den Küchentisch oder krabbelte, war in Bewegung, es wollte sehen, erleben. Neugierde. Leidenschaft der Neugierde. Vielleicht ein Umzug. Zwischen den Welten. Unwirklich. Trauer und Freude, als die Geburt frisch war, als das Kind neu war, als alles noch ungelebt war. Schwesterumarmung, voreinander zurückschrecken. Sich kennen und wie du die Tomaten ißt, wie wir schon Käse auf dem Brot hatten. Das ist jetzt Leben. Der Teppich, auf dem das Kind spielt, lag auch schon in deinem Kinderzimmer. Bleib, Schwester. Diesmal trugen sie nicht den gleichen Pullover.

(In: Du weckst die Nacht. Prosaminiaturen. Neuss 1994, S. 25)