Es ist spät, Lieb’

Aus der Kurve der Nacht kommt Liebesgeflüster, da stehen die Besucher Schlange in der Peepshow. Kolchosenarbeit, dann Nacht, dann einschlafen, doch Liebesgeflüster in den Sternen. Sie krallt sich um ihren Kragen. Wegelosigkeit. Dann eingeschlafen. Weggenommene Stunden, ausgewichene Tage, unsteuerbare Wochen, Monate gerade jetzt, in diesem Moment. Einstellungssache. Da erkürt sich die Freundin eine Freundin der Freundin, der Liebe. Liebes, es wird spät. Zur Frau geboren. Wegebahnen, Ausweichstellen, vollgestellte Straßenbahn. Arbeit, schlafen, essen, aufwachen, weitergehen, unentwegt verstreichende Stunden, weiterschlafen, weiterwachen. Wo bleibt da die Sekunde, der Einschlag? Gehäckseltes Stroh, darin Nachtgeflüster, Sternenanbetung, Gewinde der Erinnerung. Wo bleibst du Lieb’, wo steckst du, wo sind deine Momente? Liegen sie unter dem Pflaster, auf der Straße, in der Woche, in einem Jahr. Wo sind deine Stunden, wie ist dein Monat? Entschwunden, gegangen, verloren, wo bist du Lieb’? Wer hat vergessen, den Kuß unterm Schirm, es schüttete, wer hat daran gedacht, der Kuß am Rhein. Wer hat daran gedacht, die Dachlatte in der Hand, den Boden unter den Füßen, die Stunden vergessen. Wieder von vorn. In der Nacht stehen die Nutten auf den Füßen, die Freier liegen ihnen zu Füßen, keine Geburt, kein Aufwachen. Käse zum Frühstück, Kandelaber im Film, Rotlicht aus dem Fön, Schwarzkuchen als Brot. Geschmeidige Wintersonne, die sich zerstäubt. Weggewandte Zeit.

(In: Du weckst die Nacht. Prosaminiaturen. Neuss 1994, S. 10)