Auf dem Weg

Sie erneuerte sich auf dem Weg. Grenze am Tod. Sie erfährt Hinweise auf die richtige Richtung, hört von Umwegen, rennt weiter, kommt voran. Sie sieht Gabelungen, hinter ihr nichts, vor ihr Kreuzungen. Sie begleitet einige auf dem Weg, an Kurven verlieren sie sich aus den Augen. Kaum einer kommt ihr entgegen. Sie geht abwartend, stolpert. Der Weg bricht ab, sie geht querfeldein, der Weg hört auf, sie springt ins Weite. Sie geht lebenslänglich. Sie kommt nicht an, erreicht ein Ufer, schwimmt hinüber, kehrt am anderen Ufer um, macht Umwege, verläuft sich. Kleine Papierschnipsel gräbt sie unterwegs ein, hängt Lampions an die Bäume, arbeitet mit an der Straßenbefestigung. Der Tod ist zu, sie kommt nicht rein, muß wieder weiter. Blaue Pfeile sind auf den dürftigen Weg gemalt, dort wo es weitergeht. Sie folgt der Richtungsanzeige. Immer wieder bricht der Weg ab, sie fängt tausendfach wieder an, immer an der gleichen Stelle, verliert die Menge, geht allein. An Mauern entlang, überall zu Hause, mit dem Kopf im Moos, selbst langsam in den Farben der Natur, verwittert, lernend, vergessend.

Weg ist, wo ihre Füße gehen. Schachteln liegen am Rand, Bauschutt, Geröll, ein alter Kühlschrank, sie klettert einen Abhang hinunter, dann Vororte, Zentren, Städtebilder gerafft. Sie geht durch Gemäuer, verfallene Durchblicke, die sie abseitig liegen läßt. Sie streicht an Wänden entlang, streicht mit den Händen darüber, saftiges Grau, Leben der Steine. Sie kennt die Richtung, verändert sich auf dem Weg, erkennt alte Pfade nicht wieder. Sie ist nicht in der Spur. Sie hört von Stockungen im Verkehr, schleicht weiter, wandert über Halden, sieht Erker und Gesimse, studiert Fensterfarben und Türformen. Sie geht längs, entlang am Vergessen. Sie fängt Wegweiser, sonst zerrinnt der Weg. Die Schuhe finden ihn, die Füße sind vorwärtsgerichtet. Die Wege im Park sind durch Sehenswürdigkeiten geschmückt, geschickt arrangiert eine Brücke. Sie fällt ins Wasser, Frosch. Nach Trockenpause geht sie wieder auf den Weg und findet wieder einen anderen, keiner von vorher, immer undurchsichtig. Sie findet sich nicht zurecht, aber sie findet weiter. Entdeckt werden kann sie kaum.

(In: Du weckst die Nacht. Prosaminiaturen. Neuss 1994, S. 65f.)