Florence Hervé, geboren am 17. April 1944 in Frankreich, ist in erster
Linie als Vertreterin der Frauenbewegung bekannt geworden; ihre
breit gefächerten Interessen auf unterschiedlichen Gebieten
zeigen darüber hinaus eine vielschichtige Persönlichkeit.
Auch wenn Angelegenheiten um, von und mit Frauen das zentrale Anliegen
Florence Hervés sind, so hat sie sich außerdem in politischen,
soziologischen, historischen und künstlerischen Gebieten profiliert.
Das Spektrum ihrer Interessen und Tätigkeitsfelder erweitert
sich kontinuierlich.
Florence Hervé bewegt sich in einem Raum zwischen Wissenschaft
und Journalismus. Neben Artikeln und Interviews für deutsche
und französische Zeitungen liefert sie seit 1993 auch Beiträge
für den Rundfunk. Zu der eher abstrakten wissenschaftlichen
Arbeit bildet das mehr auf den konkreten Menschen ausgerichtete
Journalistische mit seinem unmittelbaren und praktischen Ansatz
einen positiven Kontrapunkt. Umgekehrt erschließt sich über
einen journalistischen Ansatz oftmals ausreichend Stoff für
eine tiefer gehende wissenschaftliche Aufarbeitung.
Frauenpolitisches Engagement
Durch die Verzahnung von politischem und auf Frauen bezogenem Engagement
eröffnet sich früh ein weites Arbeitsgebiet für die
seit 1969 freiberuflich tätige Publizistin.
Das Engagement für die Rechte der Frauen erwächst aus
eigenen Erfahrungen: aufgewachsen in einer zwar konservativen, aber
verhältnismäßig weltoffenen Familie beginnt Florence
Hervé sehr früh ein Studium der Germanistik in Bonn,
das von einer 1963 mit Diplom abgeschlossenen Dolmetscherausbildung
in Heidelberg unterbrochen wird. Durch eine kurz danach geschlossene
Ehe und die Geburt zweier Töchter gerät sie in ein kaum
zu lösendes Dilemma zwischen Studium und Familie. Neben dem
1972 abgeschlossenen Fernstudium an der Universität Nanterre
(Paris) entwickelt Florence Hervé eigene Initiativen; ihr
Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit führt zu einer
politischen Sensibilisierung wie Radikalisierung. Ihre politische
Tätigkeit während und nach der Studentenbewegung versteht
sich als Kampf gegen Unrecht und gilt vor allem der Arbeiter- und
der Frauenbewegung. Die Diskriminierung als Frau auch in den politischen
Gruppierungen der Studentenbewegung führt 1969 zur Beteiligung
an der Gründung des einflussreichen 'Arbeitskreis Emanzipation’(AKE)
in Bonn, an dem sich Florence Hervé in den folgenden Jahren
maßgeblich beteiligt. Neben der programmatischen Forderung
nach Befreiung der Frau werden konkrete Problemfelder bearbeitet,
um u.A. die Bildungs- und Berufschancen von Frauen zu hinterfragen
und zu verbessern.
Florence Hervé engagiert sich
seit Jahrzehnten in der nationalen (DFI) und internationalen (IDFF)
Frauenbewegung; bis heute ist sie deren Zielen und Inhalten in vielfältiger
Weise verbunden. Diese Vertretung eines marxistisch orientierten
Feminismus setzt für die Durchsetzung der Rechte der Frau eine
Überwindung des kapitalistischen Systems voraus.
Besonders wichtig sind Florence Hervé
stets Kontakte mit Gruppierungen im Ausland und eine auch internationale
Koordination der Aktivitäten zwecks Erweiterung der Möglichkeiten
und Stärkung der Durchsetzungskraft. Deshalb besucht sie Frauenkonferenzen
und unternimmt Vortragsreisen in Europa.
Bei aller Sensibilisierung für
politische Hintergründe und größere theoretische
Zusammenhänge bleibt immer der Praxisbezug von zentraler Bedeutung.
Deshalb beteiligt sich Florence Hervé an konkreten Projekten,
so z.B. an der Fraueninitiative „Freiheit für Leyla Zana
e.V.“ zugunsten einer kurdischen Abgeordneten, deren Schicksal
als politische Gefangene in türkischen Gefängnissen Hervé
auch in Vorträgen publik machte.
Herausgeberin, Redakteurin und Dozentin
Als (Mit-)Herausgeberin von Nachschlagewerken speziell zu Frauenthemen
will Florence Hervé den Alltag von Frauen beleuchten und
erleichtern sowie bislang Verschwiegenes öffentlich machen.
'Das Weiberlexikon’ (zuerst Dortmund 1984) wird in unregelmäßigen
Abständen aktualisiert und erweitert – Florence Hervé
hat darin selbst zahlreiche Artikel verfasst zu politischen, geschichtlichen,
medizinischen und sozialen Stichworten. Im Vorwort von den Herausgeberinnen
als „eigenwilliges Buch“ bezeichnet, spiegelt es die
breit angelegten theoretischen und praktischen Fraueninteressen,
aber auch die unterschiedlichen Ansätze in der Frauenbewegung
wider.
Kontinuierlich arbeitet Florence Hervé
seit Jahrzehnten als Redakteurin für die Zeitschrift 'Wir Frauen’,
einem Gegenentwurf zu herkömmlichen Frauenzeitschriften. Der
gleichnamige Kalender, als dessen Herausgeberin sie fungiert, präsentiert
alljährlich „Daten und Fakten aus der Geschichte und
dem Alltag von Frauen […] Dazu Fotos und Gedichte, Kritisches
und Ärgerliches aus der Welt der Patriarchen und Antifeministen,
Infos zu Gewalt und Widerstand.“ (www.edition-ebersbach.de/seiten/2005/wirfrauen2006.htm)
Die 1976 promovierte Germanistin Hervé erhält ab Ende
der 70er Jahre Lehraufträge im Fachbereich Soziologie. So arbeitet
sie als Dozentin an mehreren deutschen Universitäten und Volkshochschulen,
z.B. in Duisburg, Marburg und Münster.
Historische Interessen – Frauen in
der Geschichte
Ein besonderer Arbeitsschwerpunkt Florence Hervés ist die
Auseinandersetzung mit Geschichte. Diese hat hohen aktuellen Wert,
weil sich die Gegenwart bzw. die Zustände in der Gegenwart
daraus herleiten und erklären lassen. Bereits der Untertitel
eines der ersten von Florence Hervé herausgegebenen Sammelbände,
zu dem sie auch selbst einige Aufsätze beisteuerte, macht die
Verbindung von Geschichte und Gegenwart offensichtlich: 'Brot und
Rosen. Geschichte und Perspektive der demokratischen Frauenbewegung’
(Frankfurt am Main 1979).
Die Anthologie 'Frauenbewegung und revolutionäre
Arbeiterbewegung. Texte zur Frauenemanzipation in Deutschland und
in der BRD von 1848 bis 1980’ (Frankfurt am Main 1981) versteht
sich als Dokumentation des Entstehungsprozesses der proletarischen
Frauenbewegung. Im Vorwort führt Florence Hervé aus,
dass die Notwendigkeit einer starken eigenständigen Frauenbewegung
wie auch einer Kooperation mit der Arbeiterbewegung aus der Geschichte
ersichtlich wird. Sie sieht in deren Darstellung eine Möglichkeit,
zum Nachdenken und auch zum Handeln aufzufordern. Durch eine Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit kann nicht nur die Gegenwart, sondern auch
die Zukunft verändert werden.
Das historische Bewusstsein als Ansatz für Veränderungen
wird ebenfalls im Vorwort zu der ‚Geschichte der deutschen
Frauenbewegung’ (Köln 1987, 7. überarbeitete Auflage
2001) deutlich artikuliert. Die Herausgeberin Florence Hervé
resümiert die Leistungen und den aktuellen Stand der Frauenbewegung
und will Lücken in der bisherigen Geschichtsschreibung füllen
bzw. unberücksichtigte Aspekte ansprechen.
Die Geschichte und Gegenwart von Frauen
wird von Florence Hervé unter unterschiedlichen Gesichtspunkten
aufgearbeitet, beispielsweise unter regionalen Aspekten ('Bewegte
Jahre – Düsseldorfer Frauen’, Düsseldorf 1994)
oder bezogen auf soziologische Charakteristika ('Studentinnen in
der BRD. Eine soziologische Untersuchung’ Köln 1973).
Auffallend ist die individuelle und durchdachte Art der Zusammenstellung
und Analyse von vielfältigen Materialien, Problemen und Besonderheiten.
Hervé geht bewusst das Wagnis ein, auch bis dato unbearbeitete
Themenaspekte aufzugreifen und stellt diese in einen größeren
Zusammenhang.
Deutsch-französische Geschichte
Die Verwurzelung Florence Hervés in zwei Kulturkreisen,
dem deutschen und dem französischen, ermöglicht ihr eine
souveräne komparative Darstellung über antifaschistische
Widerstandsbewegungen („Wir fühlten uns frei“.
Deutsche und französische Frauen im Widerstand, Essen 1997).
Dabei gibt die Frage nach den Kraftressourcen und Motiven der betreffenden
Frauen ebenso einen Anstoß für die Untersuchung wie die
Hervé seit ihrer Jugend begleitende Frage „Wie war
der Nationalsozialismus möglich?“
Die Aufarbeitung dunkler, zum Teil vergessener
und noch nicht ausreichend aufgearbeiteter Geschehnisse in der deutsch-französischen
Geschichte des 20. Jahrhunderts ist ein weiteres Anliegen der Publizistin.
So hat sie unter dem Reihentitel 'Regards au-delà de l’oubli
– Blicke gegen das Vergessen’ Fotobildbände mitverfasst,
und zwar zum einzigen deutschen Vernichtungslager Natzweiler-Struthof
in Frankreich (Essen 2002) wie auch zum Massaker von Oradour (Essen
1995). Neben Augenzeugenberichten und literarischen Texten beeindrucken
Hervés Beiträge durch ihre knappe kommentarlose Aneinanderreihung
der Geschehnisse, die die Ungeheuerlichkeit des Vorgefallenen veranschaulicht.
Diese zweisprachigen Publikationen werden von Fotoausstellungen
begleitet, deren Eröffnung die Autorin durch persönliche
Beiträge und Führungen mitgestaltet. Sie will nicht nur
die Vergangenheit in Erinnerung rufen, sondern auch eine Wiederholung
in der Gegenwart verhindern. So wird eine Gegenbewegung gegen Verharmlosung
von Verbrechen, gegen Diskriminierung, Rassismus und Krieg angestoßen
bzw. verstärkt.
Internationale Ausblicke
Die Bedeutung des zusammenwachsenden Europa aus der Sicht der Frauen
betont sie als Herausgeberin eines von internationalen Autorinnen
verfassten Sammelbandes mit dem doppelsinnigen Titel 'Frauenzimmer
im Haus Europa’(Köln 1991). Der Titel zeigt ihre Freude
an kreativen Wortspielen. Der Europagedanke Hervés –
einer gebürtigen Französin mit Lebensmittelpunkt in Deutschland
– baut auf den Idealen der Französischen Revolution auf;
sie zeigt sich vertraut mit inter-nationalen wie interkulturellen
Problemen und Vorurteilen, aber auch fasziniert von der Idee eines
friedlichen, freien und gleichen Europa. Geschichte und Frauenthematik
werden von Florence Hervé auch in dem Band 'Namibia –
Frauen mischen sich ein’ (Berlin 1993) miteinander verknüpft.
So entsteht ein faszinierender Einblick in ein oft nur als touristisches
Reiseziel bekanntes Land mit weitgehend unbekannten gesellschaftlichen
Problemen. Neben einem neuen Blick auf ein dunkles Kapitel der deutschen
Kolonialgeschichte werden rassistische und sexistische Missstände
benannt und insbesondere auch die vielfältigen Formen der Gewalt
gegen Frauen in Vergangenheit und Gegenwart, in Kriegs- und Friedenszeiten
angeprangert.
Biographische Arbeiten
Kraft und Mut von Frauen in aller Welt herauszustellen, deren Möglichkeiten
für politisches Engagement zu erhöhen und dazu zu ermutigen,
sind besondere Anliegen der Herausgeberin und Autorin. Neben Darstellungen
ganzer Frauengruppen verfasst sie auch Texte über Einzelpersonen:
beispielsweise eine Biographie über Benoîte Groult (Salz
der Freiheit, München 1999) wie auch für den von ihr mit
herausgegebenen Band 'absolute Simone de Beauvoir’ (Freiburg
2003) einen biographischen Text über diese Intellektuelle.
Auch das von Florence Hervé herausgegebene 'Lexikon der Rebellinnen’
(zuerst Dortmund 1996, zweite Auflage 1999) beeindruckt durch lesbare
und interessante Biographien von bekannten wie unbekannten Frauenpersönlichkeiten,
die durch die konsequente Verfolgung ihrer Ideen gegen den Zeitgeist
aufbegehrten.
Literarische Akzente
In den letzten Jahren ist die Autorin und Herausgeberin Florence
Hervé mit literarisch anspruchsvollen Anthologien eigener
und fremder Texte (z.B. 'Am Meer’, Berlin 2004) an die Öffentlichkeit
getreten. Ihre künstlerischen Fähigkeiten kommen besonders
gut in einem Zusammenspiel von Texten und Fotos zur Geltung.
Sie gibt seit 1998 die Buchreihe 'Frauengeschichten – Frauengesichter’
(www.trafoberlin.de/reihe_frauengeschichten_frauengesichter.htm)
heraus; in jedem Band werden Frauen aus jeweils einem Land präsentiert,
weniger nach dem Grad ihrer Prominenz, als vielmehr nach der Besonderheit
ihrer Leistungen. Ergänzend gibt es in den teilweise auch in
einer französischen Version erschienenen Bänden Fotos,
literarische Texte, Einblicke in Legenden und Mythen wie auch in
die Kochkunst des jeweiligen Landes.
Außerdem stellt Florence Hervé
in einem Fototextband 'Frauen und das Meer’ (Hildesheim 2004),
wesentlich unterstützt durch Fotos von Katharina Mayer, Frauenschicksale
aus verschiedenen Ländern vor, die mit dem Meer verbunden sind,
sei es zur Berufsausübung, zur künstlerischen Inspiration
oder aus Abenteuergeist bzw. dem Wunsch nach Rebellion. Das Meer
– Florence Hervé selbst besonders vertraut, da sie
selbst möglichst viel Zeit in der Bretagne am Meer verbringt
– ist für diese Persönlichkeiten eine vielschichtige,
kraftvolle Naturerscheinung, mit der sie sich messen, an der sie
wachsen und reifen. Ein Auszug aus diesem Buch war im August 2004
am Literaturtelefon zu hören.
Eine Auswahlbibliographie sowie ein Auswahlverzeichnis der Rundfunk-
und Fernsehsendungen wie auch der Übersetzungen aus dem Französischen
findet sich unter http://www.trafoberlin.de/Autoren/herve_florence.htm
und in 'Deutsches Schriftstellerlexikon 2001. Ein Who’s Who
der deutschsprachigen Literatur, Dietzenbach 2000’.
Text: Monika Beck
Porträtfoto von Katharina Mayer
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