Ich
soll etwas von mir selber erzählen, gleichsam in den Spiegel
schauen, und, wie ich mich darin sehe, ehrlich beichten –
es fällt mir schwer. Denn so ein einfaches Frauenleben, das
am liebsten zwischen den Wänden des eigenen engumhegten Heimes
dahinfließt, was kann das wohl an reichen Bildern zeigen?!
Es wirft nicht Glanz noch Schimmer ins Spiegelglas; es gleicht
der Flut in einer friedvollen Bucht, an der der müde Mann
gerne sitzt und ruht und lachende Kinder spielen.
Und das was meine Augen nachdenklich
gemacht hat und meinen Mund, trotzdem er ganz herzlich lacht,
ernst, das was ich innerlich erlebt, das steht ja alles in meinen
Büchern; denn welcher Autor spänne nicht eigenen Faden
auf seinem Webstuhl und knüpfte diesen an fremde Fäden
an und schlänge ineinander und durcheinander, bis daß
er selbst nicht mehr weiß, wo Eigenes aufhört und Fremdes
anfängt.
Also von mir möchte ich nicht
reden, wohl aber von dem, was meinem Herzen teuer ist: von meiner
Heimat. Vielmehr: von meinen Heimaten. Mir geht’s, wie es
Onkel Bräsig ging – ich habe „drei Brauten“.
Und wie ein Mann um die Liebste wirbt, so werbe ich um die drei;
aber welche von ihnen meine Madame Nüßlern ist, die
Heißgeliebteste und Ewiggeliebte, das verrate ich nicht.
–
Ich sehe in den Spiegel – –
– da fließt klar und leise die liebe Mosel! Wie ein
blaues Band schlingt sie sich grünen Bergen eng um die Füße,
im schwärzlichen Schiefergestein wachsen Reben, Stock bei
Stock, dicht gesetzt, wie im Plattland die Kartoffeln. Weiße
Städtchen hüben und drüben, in denen der Frühling
früher und goldner einzieht als anderswo, in denen großdoldiger
lila Flieder in Bündeln über bunte Gnadenbilder hängt
und tiefbrauner Goldlack und rote Federnelken – alles Farbe,
alles Duft.
Und hinter den lachenden Rebenhügeln
tauchen die runden Eifelkuppen auf, steil führen die Pfade
hinan. Die Ebereschen, die den Chausseerand säumen, lassen
weiße Mooszipfel im rauen Regenwind flattern, ernste Maare
ruhen schweigend im vulkanischen Bett, endlose Wälder schlagen
die dunklen Wogen um einsame Dörfer, verlorenen Heiden träumen
im blendenden Sonnenglanz. Jungfräuliches Land noch, das
im Dornröschenschlaf des erlösenden Kusses harrt –
weltenfern, weltenweit das rührige Leben. Nur Kirchenglocken
dröhnen durch die Stille, und der herbe Eifelwind trägt
diesen einzigen Klang hierhin und dorthin, allüberall hin.
Die Glocke mit der mächtigsten
Stimme hängt zu Trier; da ruft sie vom Dom, eine beredte
Zeugin der uralt-eingesessenen, siegreichen Kirche. Und doch ists
nur ein Katzensprung von da zur Porta nigra; Christentum und Heidentum
treten sich in Trier fast auf die Füße. Ich habe mir
just den schönsten Winkel der ganzen schönen Rheinlande
zum Geborenwerden ausgesucht. In Trier, unweit der „Poort“,
wie das Römertor im Volksmund heißt, stand meine Wiege;
sie schaukelte im Takt mit den frommen Kirchenglocken, ich schlummerte
süß bei deren Schall, und doch war ich ein Ketzerkind.
Meine Amme, die schwarze Anna, war
eine echte Tochter der Eifel. Als sie in meiner Mutter Wochenstube,
hinauf in den ersten Stock, geführt wurde, traute sie sich
dort nicht von der Türe fort; es war nicht ländliche
Schüchternheit, wie man anzunehmen geneigt war. Die schwarze
Anna hatte noch niemals ein Haus mit mehreren Etagen betreten;
nun, da die Dielen unter ihren Nägelschuhen knarrten, fürchtete
sie, durchzubrechen, und zitterte für ihr Leben. Auch von
der Reinlichkeit hatte sie merkwürdige Begriffe; es dauerte
eine ganze Weile bis man ihr abgewöhnte, auf einen Zipfel
der Windel zu spucken und hiermit ihrem Pflegling das Gesichtchen
zu waschen.
Mit der trefflichen Milch dieser schwarzen
Anna habe ich schon die Liebe zu meiner ersten Braut eingesogen.
Tief, tief bis ins Innerste erfüllt die mich, zäh ist
sie mir im Herzen eingewurzelt, wie eine starke Tanne im Eifelforst,
fest ist sie, wie der festeste Stein der heimatlichen Felsen.
Und wenn ich so ganz still für mich sitze, dann glaube ich
oft die Glocken des uralten, heiligen Römertrier zu hören,
wie sie voll und sonor über die uralte und doch jugendschöne
Mosel schwingen und in den Eifelbergen verhallen. Ich höre
sie, wo ich auch bin; ihr Klang kommt mir nicht aus den Ohren.
Immer wieder rufen sie mich, Jahr um Jahr; ich glaube, sie läuten
mir auch bis zum Ende. –
Da ich anfing die Schule zu besuchen,
wurde mein Vater als Oberregierungsrat nach Düsseldorf versetzt.
Das war eine Veränderung! Von der sanftgleitenden Mosel zum
breitflutenden Rhein, aus der Stille des kleinen Trier, wo das
Gras zwischen den Pflastersteinen wächst, in das heitere
Leben der eleganten Gartenstadt!
Und doch war es noch nicht das schnellwachsende,
großstädtische Düsseldorf der letzten anderthalb
Jahrzehnte; man kannte noch jeden, der in der Straße wohnte.
Man lief Stelzen und sprang Seilchen vor der Haustür, man
kletterte über Gartenmauern und prüfte des Nachbars
Birnen; man machte im Abenddunkel „Schellemännkes“
und lauschte klopfenden Herzens, glühend vor Aufragung hinter
dem nächsten Hausvorsprung auf das Schelten der Magd, die
, wütend über das Reißen an der Klingel, öffnete
, und, fand sich niemand draußen, noch wütender zukrachte.
Noch flutete der Rinnstein neben dem
Trottoir, der hochgeschossenen Backfisch hat verschiedentlich
nähere Bekanntschaft mit ihm gemacht, wenn er, entrückten
Blickes in die Luft starrend, sich ein märchenhaftes Glück
der Zukunft zurechtphantasierte.
Und all die Feste! St. Martins-Abend
– „Lustig, lustig, trallerala, heut ist Martins Abend
da!“ – die ganze Stadt roch nach Puffertkuchen und
wimmelte von Kürbissen und bunten Laternen. Keine Eltern
so arm, dass sie ihrem Kind nicht ein buntes Papierballönchen
gekauft hätten, in dem das Kerzchen flackerte. Und die Weckmänner
auf St. Nikola, Korinthenaugen hatten sie und eine Tonpfeife im
breiten Maul! Die Bratäpfel und Kastanien, die in der Herdröhre
zischten und knackten, wenn der erste Schnee fiel! Das Suchen
nach Sauerampfer und Veilchen auf den Hammer Wiesen! Das Rheinbaden
in der primitiven Bretterbude an heißen Sommertagen! Und
nicht zu vergessen: das Grundwasser, wenn der Rhein hoch ging!
Was den Ältern höchsten
Ärger schaffte, war uns Kindern höchste Wonne. Eine
dunkle Flut schwamm im Keller, wir mitten auf dem Weltmeer in
einer Bütte, Holzscheite die Ruder; Robinson war nichts gegen
uns. Und wenn gar der Rhein unterm Zolltor durchlief, die Straßen
der Altstadt überflutete, dem alten Jan Willem auf dem Markt
die Füße wusch, die Bewohner der anliegenden Häuser
in die oberen Etagen jagte, wenn kreuzende Kähne die Flüchtlinge
durch Eimer an der Stange mit Speise und Trank versorgten, dann
kannte unser Jubel keine Grenzen.
Und noch lacht mir das Herz, wenn ich der Freuden gedenke, die,
zwölf Jahre hindurch, die zweite Braut mir bot. Es ist mein
Wunsch, dies heitere Bild Düsseldorfer Lebens in einem nächsten
Roman festzuhalten.
Mein lieber Vater starb; ich war eben
erwachsen, das Bisherige trat zurück. Meine Eltern stammen
beide aus der Provinz Posen, daher, wo man sich, wie man in dem
von der Natur so bevorzugten Rheinland denkt, Hasen und Füchse
Gutenacht sagen. Da kam ich nun hin.
Eisenbahn gab es nicht bis zum Gut
der Verwandten, der Wagen wartete auf der kleinen Station; endlos
gings durch Sand und Korn und Rübenfelder, und weiter durch
Rübenfelder, Korn und Sand. Rebhühner schwirrten auf,
wenige Dörfer zeigten sich, die Räder holperten in ausgefahrenen
Landweggeleisen, und der Himmel stülpte sich über das
flache Land, wie eine Glasglocke über den Teller.
Hier soll ich bleiben?! Fast wars ein Angstruf.
Und doch, wie schön ist auch
dieses flache Land! Inseln gleich liegen die Gutshöfe im
Meer der Felder, abgeschlossenen Reiche für sich, jeder Gutsherr
ein König.
Weit schweift der Blick über
die nährende Erde: hier wächst unser Brot. Goldenen
Ähren wiegt der Sommerwind, der Kiefernwald blaut in der
Verne; am Horizont der Ebene sieht man die Sonne aufsteigen und
versinken, rosige Wolken schwimmen im verklärten Glanz.
Meine dritte Braut ist keine Schönheit
auf den ersten Blick, man muß sie näher kennen lernen.
Und das habe ich getan. Polnisch und deutsch hat sie zu mir gesprochen.
Die, freilich nur unoffiziell geschwungene Peitsche mit den verknoteten
Lederriemchen, die so empfindlich die gebückten Rücken
der Polaki trifft, habe ich ebenso gut kennen gelernt, wie das
gütig-patriarchalische Regiment, das noch auf dem , weit
über hundert Jahre der Familie gehörenden, deutschen
Stammgut geführt wird.
Die Kosiniery in Schlapphut und rotem
Hemd traf ich im Feld und auch die deutschen Schnitter; fröhliche
und verdrossenen, aufrührerische und zufriedene, stupide
und intelligente Arbeiter sind an mir vorübergezogen. Die
Zeit ist mir nie lang geworden. Man bangt vor dem Gewitter und
ersehnt tränkenden Regen für das verdorrte Land, man
grämt sich wegen der Disteln im Acker und jauchzt jedem glücklich
eingebrachten Fuder zu. Die Erntekrone wird dem Herrn vors Haus
gebracht, „Nun danket alle Gott!“ erklingt es von
unmelodischen Stimmen; gleich darauf quiekt die Fiedel und parpt
die Harmonika, der Knecht schwingt die Magd auf der Tenne im Erntetanz,
derweil die Alten trinken.
Ich aber schlich mich von dannen,
hinter die Scheuer und weiter über die Äcker bis in
den blauen Kiefernwald. Da blieb ich stehen im Heidekraut. Harziger
Duft umschwebte mich wie eine Wolke, und in der Wolke kam ein
Gruß jener anderen Kiefern, jener rotstämmigen, knorrigen
Gesellen, die auf Eifelheiden wachsen. Natur ist immer verwandt,
und Bauer ist Bauer, und Mensch ist Mensch. –
In West und Ost und am Niederrhein
wohnen so meine drei Brauten. Einer jeden von ihnen gehört
mein Herz, einer jeden danke ich viel Glück, allen zusammen
aber mein Höchstes – meine Kunst.
Drei Brauten – und wenn ich’s
recht bedenke, bin ich Bräsigen doch noch über, ich
habe eigentlich vier. Die vierte Braut ist Berlin. Aber nein,
was sage ich denn?! Keine Braut! Mit Berlin bin ich – verheiratet!
(abgedruckt
in: „Das litterarische Echo“, 3.Jg. 1900/01, Sp. 313-316)
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