Es
ist ein wunderliches Gefühl, so auf den Wegen einer Vergangenheit
zu wandern; ich habe das nie stärker empfunden, als hier
in der Eifel. Es war im Frühherbst, da stand ich zwischen
verstreuten Lavabrocken und sammelte Brombeeren. Ich blickte rechts,
ich blickte links, vom Eifer des Pflückens besessen, der
dem Jagdeifer gleichkommt, mit dem der Jäger das Wild verfolgt.
Wie sie lockten, wie sie glänzten, die würzigen Beeren,
nirgendwo süßer, nirgendwo würziger als gerade
hier! Abschüssiger Hang; fest bohrt sich mein Schuh in die
schwarze Asche, unter meinem benagelten Tritt knistert und knirscht
uralte Lava. Vom Himmel herab gloßt noch die Sonne, prallt
mir auf den Scheitel, prallt dem Kraterkamm über mir auf
den Kopf, prallt auf die Asche, daß ich sie heiß unter
den Sohlen spüre, glühend heiß. Als brennte da
heimlich unterirdisches Feuer wie vor Jahrtausenden und drängte
zu Tag. Ich war trunken. „Tausend Jahre sind vor mir wie
ein Tag,“ das hatte ich immerfort in den Ohren. War es die
Sonne, die also sprach, oder der schwarze Kraterkopf, oder die
Luft, die mich umfloß wie ein heißes Bad, heilend
und erregend zugleich? Einen Blick hinab ins tiefe, grüne
Tal, wo Häuser stehen, wo Menschen wohnen, tat ich nicht
– mir schwindelte – das war alles mir weit entrückt,
grenzenlos fern. Und ohne Grenzen ging ich durch Phantasieland,
durch Kinderland – uralte Mären von Pech und Schwefel,
von Sodom und Gomorrha und Sintflut standen auf und sahen mich
an. Der Kraterkopf über mir fing an zu spucken, das grüne
Tal unter mir nur Flammen und Rauch, vernichtender Lavastrom allüberall.
Und ich mitten drin, ein winziges Etwas, hilflos und doch nicht
beängstet. Stand denn mein Fuß nicht auf Jahrtausenden?
War diese Land nicht ewiges Land? Aus Schutt und Asche war es
einst entstanden, und abermals wird es sich neu begrünen
nach Untergang, blühen und Früchte bringen zu seiner
Zeit.
Als ich zu Tal kam, läutete die
Glocke des Kirchleins ängstlich, sie rief zum Gebet –
es steht zurzeit nicht gut um das Vaterland – „Ave
Maria, gegrüßet seist du Gebenedeite! Bitt’ für
uns!“
Nirgendwo find Heidentum und Christentum
sich so auf den Fersen. Burgen und Kirchen der Eifel aus Lavagestein,
graue Vorzeit und leuchtend weiße Kapellchen auf Kraterkuppen;
vor verfallenen Raubnestern die rotangemalten Wunden Christi am
Kreuz. Eine Brücke schwingt sich, über die jeder gehen
muß, der ganz verstehen will, was „Eifel“ heißt.
–
Meine Augen werden hell, wenn ich
von der Eifel spreche; sie ist und bleibt die Heimat meiner Sehnsucht
und die Liebe meines Herzens. –
(abgedruckt
in: „Eifel-Kalender für das Jahr 1929“. Bonn
1928)
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