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Am 4.8.1862 wird die politische Schriftstellerin Ludmilla Assing in
Abwesenheit zu acht Monaten Haft verurteilt. Dies hält sie nicht
davon ab, weiter politisch brisante Briefe und Tagebücher aus dem
Nachlaß ihres Onkels, Karl August Varnhagen von Ense, zu
publizieren. Es erfolgt ein zweiter Richterspruch, Urteil: zwei
Jahre.
Die steckbrieflich
Gesuchte lebt zu diesem Zeitpunkt in Florenz, das ihr nun zum politischen
Exil wird. Als überzeugte Demokratin hat sie Verbindungen zum Risorgimento,
der italienischen Demokratiebewegung, ist mit führenden Revolutionären wie
Guiseppe Mazzini befreundet und übersetzt Schriften ihres Geliebten Piero
Cironi ins Deutsche. „Das Literatenthum im Weiberrocke“ – wie die reaktionäre
Presse es nennt – betreibt sie auch als Italienkorrespondentin für führende
Zeitungen in Deutschland. Die erste Hälfte ihres Lebens hatte sie in Hamburg
und Berlin verbracht.
Ludmilla Assing wuchs in einer assimilierten jüdischen Familie auf. Der
Vater, David Assur Assing, war Arzt und ebenso wie die Mutter, Rosa Maria
Assing geb. Varnhagen, kulturell interessiert. Die Eltern pflegten
Freundschaften mit vielen AutorInnen wie Heinrich Heine und Amalie Schoppe,
die Mutter dichtete für Almanache. In dieser durch kulturellen und
politischen Austausch geprägten Atmosphäre wachsen Ludmilla und ihre
Schwester Ottilie auf. Nach dem Tod der Eltern ziehen die finanziell unabhängigen
Schwestern 1842 zu ihrem Onkel nach Berlin (Ottilie kehrt wieder nach
Hamburg zurück und wandert später in die USA aus), ihre Tante, die berühmte
Salonnière Rahel Varnhagen, war bereits 1833 gestorben.
In Berlin steht Ludmilla Assing mit vielen Oppositionellen in Kontakt, sie
schreibt erste Artikel und begrüßt die Revolution von 1848. Ihre
Berichte über die Barrikadenkämpfe führen zu misogynen und
antisemitischen Schmähungen. In der Reaktionszeit erscheinen weitere,
meist anonyme Feuilletons und ihre ersten Bücher: Biographien über ihre
Freundin Elisa von Ahlefeld und die erste deutsche Berufsschriftstellerin
Sophie von La Roche. 1858 wird sie Nachlaßverwalterin der
Varnhagen-Sammlung, einem Konvolut aus Briefen von und an 9000 Personen,
Tagebüchern und Autographen. Diese Zeugnisse dokumentieren persönlich
erlebte Geschichte seit der Französischen Revolution. Bis zu ihrem Tod
publiziert sie wichtige Teile dieser Sammlung. Auch wenn sie nach der
Reichsgründung „das gegenwärtige Berlin durchaus für keinen sicheren
Aufbewahrungsort meiner Papiere, für keinen dauernd sichern Wohnort für
mich“ hielt, stiftete sie die Sammlung der Berliner Staatsbibliothek und
damit der Öffentlichkeit.
Mechthilde Vahsen
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