Yvonne Friedrichs

Wo der Zar Paläste zimmern ließ

Ansichten von „Sankt Petersburg und Umgebung“ im Stadtmuseum

St. Petersburg, von Zar Peter dem Großen (1689 – 1725) im Jahre 1703 gegründet und schon 1712 zur neuen Hauptstadt erhoben, wurde zum Symbol der Öffnung des Landes gen Westen. Mit Energie und auch rigoroser Härte hat der Zar dieses gigantische Bauvorhaben in den Sümpfen des Newa-Deltas durchgesetzt, das freilich mit dem Tod Zehntausender Zwangsarbeiter erkauft wurde.

Als einzigartiges Gesamtkunstwerk, das nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg mit Leidenschaft rekonstruiert wurde, zeugt es noch immer von jener gewaltigen Kraftanstrengung. Daß nach der „Wende“ diese Stadt mit ihrem zurückgewonnenen Namen auch ihre einstige Identität zurückersehnt, mag ein gutes Omen sein. Das rückt sie, wie schon die vor drei Jahren in der Villa Hügel veranstaltete große Ausstellung „Sankt Petersburg um 1800“ zeigte, wieder ins Zentrum unseres Interesses.

Eine sehr viel kleinere, aber höchst aufschlußreiche Schau im Stadtmuseum, „Sankt Petersburg und Umgebung in russischen Veduten 1753 – 1761“ mit zwei großformatigen Kupferstichfolgen nach Michail Iwanowitsch Machajev, herausgegeben von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Sankt Petersburg, dokumentiert nun überraschenderweise das „work in progress“ im 18. Jahrhundert. Denn innerhalb eines halben Jahrhunderts – von 1793 bis 1853 – wurden die zuerst aus Erde, Lehm und Holz errichteten, bedeutendsten Gebäude und Festungsanlagen mehrmals von Grund auf neu errichtet. So gab es beispielsweise vier Winterpaläste und vier Sophien-Kathedralen, von denen man in den Veduten die nicht endgültigen Zwischenbauten sieht.

Die ersten zwölf Ansichten wurden zusammen mit einem Stadtplan von St. Petersburg aus dem Jahr 1753 unter der Zarin Elisabeth, der Tochter Peters des Großen, zum 50jährigen Stadtjubiläum 1753 herausgegeben. 1761 erschienen dann weitere fünf Veduten aus der Umgebung, nämlich von den Schlössern Peterhof, Oranienburg und Zarskoje Selo.

Von Schlichtheit zum Prunk

Daß diese raren, jeweils von zwei Platten gedruckten Radierungen aus der Mannheimer Sammlung des Kurfürsten Carl Theodor von der Pfalz stammen, macht sie für Düsseldorf besonders interessant. Sie werden in der Staatlichen Graphischen Sammlung München bewahrt und wurden unlängst von ihrem Oberkustos, Richard Harprath, der auch den Katalog bearbeitete, durch Zufall entdeckt.

Man kann in den Veduten die Entwicklung verfolgen von dem anfänglich noch sehr schlichten, strengen, am holländischen Barock orientierten Baustil unter Peter, der ja mehrfach die Niederlande bereist hatte, bis hin zu den eleganten, französisch beeinflußten Repräsentationsbauten und Lustschlössern, die die Zarin Elisabeth gegen Mitte des Jahrhunderts von ihrem Architekten Graf Bartolomeo Francesco Rastrelli errichten ließ, darunter ihr neues Sommerpalais (1741-1744) mit seinem großen Park oder das Schloß in Zarskoje Selo, das sie zu einer prunkvollen Residenz umbauen ließ.

Auch die Parkpavillons Peters des Großen genügten nun nicht mehr. Die neue „Eremitage“ und der „Jagdpavillon“ tragen in ihren Grundrissen und Dekors die Handschrift Rastrellis, des Schöpfers des kapriziösen „Russischen Barock“. Maßvoll streng und sachlich nimmt sich dagegen der fast schmucklose, 400 Meter lange, größte erhaltene Gebäudekomplex aus der Zeit Peters, die Zwölf Kollegien, seine einstigen Ministerien, aus.

Auch Menschlich-Kulturgeschichtliches läßt Harprath in seine hervorragend recherchierten Texte einfließen. Nicht Adel, sondern Verdienst war für Zar Peter Maßstab für Menschen. Die ungeheure Machtfülle seines Günstlings Aleksandr Mensikow wird anschaulich in dem grandiosen Sommer-Lustschloß Oranienbaum, das er sich zwischen 1711-1725 bauen ließ und das selbst den Zarenpalast in den Schatten stellte. Der in jugendlichem Alter als Pastetenverkäufer auf der Straße aufgelesene Mensikow avancierte bald zum engsten Vertrauten des fast gleichaltrigen Zaren, nahm an allen seinen Schlachten teil, wurde Gouverneur der eroberten schwedischen Länder, Minister, oberster Erzieher des Thronfolgers, arbeitete mit Peter zusammen auf den Werften Amsterdams. Der Zar nannte ihn später nur noch seinen „Bruder“.

YVONNE FRIEDRICHS

[In: Rheinische Post. Feuilleton, 3. April 1993]