Abschied vom
Heinrich-Heine-Club

„Man möchte für immer so tief wie möglich in allen Herzen das Vermächtnis des Mannes verwurzeln, von dem man daheim gesagt hat: Der große Deutsche und der kranke Jude [...]. Er war der Schutzpatron unserer Gemeinschaft in diesem seltsamen Land, in das wir auf unseren Irrfahrten verschlagen wurden. Wir haben mit unseren geringen Kräften versucht, den Abglanz von seinem Geist, von seinem Spott und seiner Kritik hier neu zu beleben, während er weit weg in seinem geliebtem Paris auf dem Friedhof von Montmartre liegt [...]. Wir haben uns, wenn uns das Heimweh gar zu stark überkam, von seiner spöttischen Trauer trösten lassen: dieselben Sterne werden als Todeslampen über unseren Gräbern schweben, am Rhein oder unter Palmen, auch wenn man kein Requiem betet und kein Kaddisch sagen wird.

Ihm wäre das Land nicht gar so seltsam erschienen. Er hat sich selbst einen unermüdlichen Kämpfer für die Freiheit genannt, und jemand, der für die Menschenrechte kämpft, fühlt sich den Kämpfenden aller Länder verbrüdert. [...] Wir haben in seinem Namen eine große Strecke gemeinsam zurücklegen können, weil unser Leben innen und außen viele Punkte mit seinem gemeinsam hatten. Die wichtigsten, tiefsten inneren Fragen und äußere Schicksale. Wir haben wie er versucht, an Werten aus unserer Heimat festzuhalten. [...] Heine hat alle Stadien der Emigration mit uns geteilt: Die Flucht und die Heimatlosigkeit und die Zensur und die Kämpfe und das Heimweh.“



Anna Seghers Rede: „Abschied vom Heinrich-Heine-Klub“. In: Sigrid Bock (Hg.): Anna Seghers: Über Kunstwerk und Wirklichkeit. Bd. I, Berlin 1970, S. 205-207.


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Erarbeitung:
Babette Dufrenne,
Franz Schwarz