Anna
Seghers Rede „Vaterlandsliebe“ [...] „Selten entstand in unserer Sprache ein
dichterisches Gesamtbild der Gesellschaft. Große, oft erschreckende,
oft für den Fremden unverständliche Einzelleistungen, immer
war es, als zerschlüge sich die Sprache selbst an der gesellschaftlichen
Mauer. [...] Bedenkt die erstaunliche Reihe der jungen, nach wenigen übermäßigen
Anstrengungen ausgeschiedenen deutschen Schriftsteller. Keine Außenseiter
und keine schwächlichen Klügler gehören in diese Reihe,
sondern die Besten: Hölderlin, gestorben im Wahnsinn, Georg Büchner,
gestorben durch Gehirnkrankheit im Exil, Karoline Günderode, gestorben
durch Selbstmord, Kleist durch Selbstmord, Lenz und Bürger im Wahnsinn.
Das war hier in Frankreich die Zeit Stendhals und später Balzacs.
Diese deutschen Dichter schrieben Hymnen auf ihr Land, an dessen gesellschaftlicher
Mauer sie ihre Stirnen wund rieben. Sie liebten gleichwohl ihr Land. Sie
wussten nicht, dass das, was an ihrem Land geliebt wird, ihre unaufhörlichen,
einsamen, von den Zeitgenossen kaum gehörten Schläge gegen die
Mauer waren. Durch diese Schläge sind sie für immer die Repräsentanten
ihres Vaterlandes geworden. Entziehen wir die wirklichen nationalen Kulturgüter
ihren vorgeblichen Sachwaltern.“ [...]
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