Anna Seghers und Ernst Weiß

Anna Seghers lernte Ernst Weiß Anfang 1940 in einem Pariser Café kennen und schätzen. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch ins besetzte Paris zurückgekehrt, erkundigte sie sich nach Ernst Weiß, der ihr als hilflos erschienen war - „so einer kann sich doch selbst nicht helfen“. In seinem Hotel erfuhr sie vom Selbstmord des Autors.

Der Dichter Weidel in ihrem Roman Transit ist Ernst Weiß nachempfunden. Ähnlich wie Weiß wird die Romanfigur tot in einem Hotelzimmer mit einem Koffer voller Manuskripte gefunden wird (Weiß starb allerdings erst im Krankenhaus an den Folgen seines Selbstmordversuchs).

Die Frage nach dem Manuskriptkoffer von Weiß ist bis heute ungeklärt; die von ihm für eine Veröffentlichung vorbereiteten Tagebücher – von ihm selbst als sein literarisches Meisterwerk angesehen – bleiben verschwunden. Auch das Grab des Dichters wurde bis heute nicht gefunden.



Anna Seghers über Ernst Weiß


Berlin, den 21. 2.1962

„[...] Sie fragen mich nach dem Schriftsteller Ernst Weiß. Ich weiß nicht, wer Ihnen gesagt hat, daß ich den Mann kannte. Sehr gut kannte ich ihn nicht, aber in einer besonderen Situation. Im drôle de guerre in Paris.

Er war mutterseelenallein, denn die meisten Leuten waren irgendwo arretiert oder sonstwie weg, ich spreche natürlich von deutschen Freunden, von Antifaschisten. Mein Mann war, wenn ich mich richtig erinnere, damals in einem Lager, aber ich hatte ja Freunde und Genossen. Durch Zufall kamen wir zusammen, Ernst Weiß und ich. Er war froh zu sprechen und sprach erregt von sich selbst. Ich weiß noch - es hat einen so sonderbaren und schweren Eindruck auf mich gemacht -, daß er erzählte, er hätte nicht Arzt bleiben können, weil die Kranken aus einem Grund, den er selbst nicht verstand, kein rechtes Vertrauen zu ihm hatten. [...]
Ich wohnte durch Zufall kurze Zeit in einem kleinen Hotel in der Nähe seines Hotels. Ich fragte dort, ob er noch da sei. Die Wirtin sagte nein und machte ein komisches Gesicht. Und bald darauf hörte ich, er hätte sich das Leben genommen.
Sie fragen mich, ob er etwas zu tun hat mit meinem Buch Transit. Ja, ich glaube, er hat ganz indirekt etwas damit zu tun. Sie wissen wohl, bei einem Schriftsteller ist die sogenannte Widerspiegelung der Wirklichkeit nie ein braves Spiegelbild.
Er war Antifaschist. Er hat sich das Leben genommen, beim Einzug der Hitlerarmee. Er war furchtbar allein. Niemand half ihm, offenbar, soviel ich weiß, denn ich wage nichts Definitives zu sagen. [...]“


(zitiert in: Peter Engel: Ernst Weiß, Frankfurt/M. 1983)

 
Erarbeitung:
Babette Dufrenne