Letzte Briefe


(Brief-Signet des Autors)

 

An Friderike Zweig (aus dem Englischen)

Petropolis, 18. II. 1942

Liebe Friderike,

ich habe dir nichts anderes zu sagen als die freundlichsten Gedanken. Wir hatten nun den phantastischen Karneval in Rio, aber solche Festlichkeiten sind mir jetzt doch ganz fremd, ich bin stärker deprimiert denn je. Es wird keine Rückkehr zu den Dingen von ehedem geben, und was uns erwartet, wird uns niemals mehr bieten können als jene früheren Zeiten. Ich arbeite weiter, aber nur mit einem Viertel meiner Kraft; es ist eher ein Weitermachen aus alter Gewohnheit als wirkliches Schaffen. Man muß überzeugt sein, wenn man überzeugen will, Begeisterung haben, um andere zu begeistern, uns wie soll ich sie jetzt finden! Alle meine besten Gedanken sind bei Dir und ich hoffe, die Kinder finden eine gute Arbeitsmöglichkeit und kommen vorwärts. Sie werden noch die bessere Welt sehen nach dieser jetzigen. Ich hoffe, dass du guten Mutes bist und ganz gesund und dass New York mit seiner Vielfalt Dir wenigstens von Zeit zu Zeit etwas von seinem künstlerischen Reichtum abgibt – hier habe ich nur die Natur und Bücher, alte Bücher, die ich lese und immer wieder lese.

Immer Dein Stefan

 

 

An Friderike Zweig (aus dem Englischen)

Petropolis, 22. II. 1942

Liebe Friderike,

wenn Du diesen Brief erhältst, werde ich mich viel besser fühlen als zuvor. Du hast mich in Ossining gesehen, und nach einer guten und ruhigen Zeit verschärfte sich meine Depression - ich litt so sehr, daß ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Und dann die Gewissheit - die einzige die wir hatten - daß dieser Krieg noch Jahre dauern wird, daß es endlose Zeit brauchen wird, ehe wir, in unserer besonderen Lage, wieder in unserem Haus uns niederlassen können, war zu bedrückend. Petropolis gefiel mir sehr gut, aber ich hatte nicht die Bücher, die ich brauchte, und die Einsamkeit, die erst so beruhigend wirkte, fing an niederschlagend zu wirken - der Gedanke, daß mein Hauptwerk, der Balzac, nie fertig werden könnte ohne zwei Jahre in ruhigem Leben und mit allen Büchern, war sehr hart, und dann dieser Krieg, der seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Ich war für all das zu müde. Du hast Deine Kinder und damit eine Pflicht zu erfüllen. Du hast weitreichende Interessen und eine ungebrochene Aktivität. Ich bin sicher, Du wirst die bessere Zeit noch erleben und Du wirst mir recht geben, daß ich mit meiner „schwarzen Leber“ nicht mehr länger gewartet habe. Ich schicke Dir diese Zeilen in den letzten Stunden, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie froh ich mich fühle, seit ich diesen Entschluß gefaßt habe. Gib den Kindern meine lieben Grüße und beklage mich nicht - denke an den guten Joseph Roth und Rieger, wie froh ich immer war, daß sie diese Prüfungen nicht zu überstehen hatten.
Alles Liebe und Freundschaftliche und sei guten Mutes, weißt Du doch daß ich ruhig und glücklich bin.

Stefan

 

 

Declaraçao

Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich, eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Land Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich das Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst vernichtet.
Aber nach dem sechzigsten Jahre bedurfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.
Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.

Stefan Zweig
Petropolis 22. II. 1942

 
Erarbeitung:
Daniela Broich,
Caroline Sander