Gedichte für Cordelia
(nach ihrer Rettung)


Frühling 46

Holde Anemone,
Bist du wieder da
Und erscheinst mit heller Krone
Mir Geschundenem zum Lohne
Wie Nausikaa?

Windbewegtes Bücken,
Woge, Schaum und Licht!
Ach, welche sphärisches Entzücken
Nahm dem stabgebeugtem Rücken
Endlich sein Gewicht?

Aus dem Reich der Kröte
Steige ich empor,
Unterm Lid noch Plutons Röte
Und des Totenführers Flöte
Grässlich noch im Ohr.

Sah in Gorgos Auge
Eisenharten Glanz,
Ausgesprühte Lügenlauge
Hört’ ich flüsternd, dass sie tauge
Mich zu töten ganz.

Anemone! Küssen
Laß mich dein Gesicht:
Ungespiegelt von den Flüssen
Styx und Lethe, ohne Wissen
Um das Nein und Nichts.

Ohne zu verführen,
Lebst du und bist da,
Still mein Herz zu rühren,
Ohne es zu schüren -
Kind Nausikaa!

(aus: „Der Laubmann und die Rose“, 1947)


Hollunderzeit

Für Cordelia

Der dem Hollunder die Sterne zu Tellern
schmiedete und sie mit Süßem gefüllt:
Juni! in elbischer Haut, von dem hellern
Mantel der Nächte ekstatisch umhüllt -

Hör deinen Liebling, den bläulichen, dichten
Ammenbusch, rieselnd von Rätsel und Reim
und bis ins milchige Mark voll Geschichten:
„Töchterchen! Söhnchen! Zu träumen, kommt heim!“

Demeter wartet. Es warten die Mütter
mächtiger Riesen. Die Nornen, die drei,
formen zur Kugel den Blitz im Gewitter,
schneiden den Faden nicht. Eiapopei!

Geisterzug wiegt sich auf schwankenden Ästen,
Tau füllt den Tränenkrug herztotem Kind,
aber die Tropfen, schon zitternd am festen
Rande - er läuft nicht. Denn Götter: sie sind.

Schwebe des Jahres. Hollunder und Rose
halten einander voll Freude verschränkt.
Leise lacht Holla. Heute wurde die große
Hoffnung all ihren Geburten geschenkt.

Einfaches Liedchen. Die Sternbilder ziehen,
Rosenblatt, Hollerbaum duften verwandt.
Schlafe du, träume du! Beide Marien
binden und lösen dir Windel und Band.

(aus: „Metamorphosen“, 1951)

Erarbeitung:
Susan Hiep
Ariane Neuhaus