Schuld und Tragik Elisabeth Langgässer gehört zu den wenigen deutschen SchriftstellerInnen, die die Shoah bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit literarisch thematisiert haben. Aufgrund der Deportation ihrer Tochter Cordelia nach Theresienstadt und Auschwitz im Jahre 1944 wurde die Mutter unwillentlich in die perfide Strategie der NS-Verfolgungspolitik verwickelt, die die Vermischung der Kategorien von Opfern und Tätern, Schuld und Verantwortung durchaus intendierte. Hinsichtlich der Situation ihrer Tochter Cordelia bleibt es fraglich, ob der Autorin die Konsequenzen der nationalsozialistischen Rassenpolitik voll bewusst waren. Zumindest hatte sie, als noch eine realistische Chance existierte, nichts unternommen, um ihre von den Nazis als „Volljüdin“ eingestufte Tochter außer Landes zu bringen oder sie vor der Gestapo zu verstecken. Eine Flucht in die Schweiz, die zwar aufgrund der Auswanderungsbeschränkungen zunehmend schwieriger wurde, aber noch bis 1941 möglich gewesen wäre, kam für die Mutter nicht infrage. Erst 1943, als die Deportationswelle bereits mit aller Brutalität eingesetzt hatte, arrangierte sie die Adoption ihrer Tochter durch ein spanisches Ehepaar – die Nürnberger Rassegesetze galten nur für deutsche Staatsbürger –, was die Tochter jedoch nur für kurze Zeit vor dem Zugriff der Gestapo bewahrte. Als beide im Jahr 1944 eine Vorladung der Gestapo erhielten und Cordelia, um ihre Mutter vor einem Hochverratsprozess zu bewahren, ein Dokument unterzeichnete, mit dem sie die deutsche Staatsbürgerschaft anerkannte und sich damit der Deportation auslieferte, ließ die Mutter dies wortlos geschehen. Elisabeth Langgässers politische Einstellung zur Judenverfolgung und ihr persönliches Verhalten waren ebenso ambivalent und kritikwürdig wie ihre literarische Auseinandersetzung mit der Shoah in „Das unauslöschliche Siegel“. In der Rezeption wird immer wieder der Vorwurf geäußert, Langgässer trage eine wesentliche Schuld am Schicksal ihrer Tochter, insofern sie sie nicht ausreichend geschützt und deren Opfer bereitwillig akzeptiert habe. Allerdings relativiert sich dieser Vorwurf, wenn man in Betracht zieht, dass Elisabeth Langgässer, die seit 1936 Schreibverbot hatte und ab 1942 Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik leisten musste, selbst der Willkür der NS-Systems ausgesetzt war. Aufgrund ihrer Ehe mit dem „arischen“ Redakteur Wilhelm Hoffmann genoss Elisabeth Langgässer nach der Kategorisierung der NS-Rassenpolitik als „jüdischer Mischling ersten Grades“ zwar noch gewisse „Privilegien“, die sie vor der sofortigen Deportation bewahrten, aber ab 1942 war auch dieser Status zunehmend bedroht. Vor allem hatte sie Rücksicht auf ihre weiteren drei jüngeren Kinder zu nehmen. Die aus der zweiten Ehe hervorgegangenen, als sogenannte „Vierteljuden“ geltenden Töchter waren anfangs den „Nichtjuden“ zwar rechtlich gleichgestellt, gerieten ab 1942 aber ebenfalls ins Fadenkreuz der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik. Das NS-System ließ der Mutter nur scheinbar eine Entscheidungsfreiheit, denn Cordelia wäre ohnehin deportiert worden, daran hätte die Mutter zu dem späten Zeitpunkt nichts mehr ändern können. Durch eine Anklage wegen Hochverrats wäre wahrscheinlich auch das Leben der jüngeren Töchter in Gefahr gebracht worden. Der Kreis von Schuld und Tragik ließ sich von Elisabeth Langgässer nicht durchbrechen. |