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Luise
Rinsers Rede anlässlich der Verleihung des Elisabeth-Langgässer-Literaturpreises in Alzey
am 27. Februar 1988
[...] Als ich vor Monaten die erste Ankündigung
diese Preises bekam, erlebte ich etwas Merkwürdiges: ich bezog den
Preis nicht auf mich, sondern auf Elisabeth Langgässer, für
die ich die Laudatio halten sollte. Natürlich korrigierte mein Verstand
alsbald den Irrtum, aber es gelang mir bis heute nicht, die starke Identifikation
aufzulösen. Hartnäckig macht mein Bewusstsein geltend, dass
ich den Preis nur stellvertretend für Elisabeth Langgässer bekomme.
Sie ist es, die ihn verdient. Sie war - und bleibt - eine große
Schriftstellerin. Wenn etwas mein Verdienst ist, dann dies: dass ich nicht
nur sehr früh ihre Bedeutung erkannte, sondern immer wieder geradezu
verzweifelt versuchte, sie als große Figur auf die literarische
Bühne zurückzurufen. Zuletzt noch 1980 kämpfte ich darum,
dass zumindest ihres 30. Todestages gedacht wurde mit meinem Nachruf in
der „Zeit“. Daß ich diesen Preis wirklich nur stellvertretend
annehme, beweise ich damit, dass die Geldsumme, die mit ihm verbunden
ist, nicht in meine Hände kommt, es ist seltsam, dass ich den Scheck
mit dem Umschlag bereits fünfmal verloren habe, dass die Geldsumme,
die mit ihm verbunden ist, nicht in meine Hände kommt und nicht in
meinen bleibt, sondern sofort nach Israel geht, wo in Jerusalem der Bürgermeister
Teddy Kollek ein Jugendzentrum für Araber und Israelis gründet:
ein Friedenswerk.
Das Geld dorthin zu geben, erscheint mir sinnvoll: Elisabeth Langgässer
war das, was man, mir sträubt sich dabei die Zunge sozusagen, war
das, was man ein Halbjüdin nannte, und ihre älteste Tochter,
die einen jüdischen Vater hatte, ist Jüdin, sie war im KZ Auschwitz.
Daß ich das Geld in jüdische Hände gebe, darf nicht gedeutet
werden als Zeichen einseitiger Parteinahme für Israel. Ich bitte
die Journalisten, die mir alle Worte jeweils im Mund verdrehen, genau
hinzuhören, was ich hier sage. Ich sage es noch einmal, dass ich
das Geld in jüdische Hände gebe, darf nicht gedeutet werden
als Zeichen einseitiger Parteinahme für Israel. Ich gebe es ausdrücklich
den Arabern so gut wie den Friedenswilligen unter den Israelis. Möge
es von beiden Parteien verstanden werden als Zeichen der heißen
Sorge einer Deutschen um die gemeinsame Zukunft der arabischen und der
israelischen Jugend, für welche die Stätte der Begegnung gedacht
ist. Lebte Elisabeth Langgässer und bekäme sie diesen Preis,
so hätte sie vermutlich genauso gehandelt.
Als sie starb, war sie 51 Jahre alt. Zu jung, um zu sterben. Zu früh
für ihre Familie mit vier Kindern. Zu früh für die deutsche
Literaturszene, von der sie nicht erkannt wurde als die Potenz, die sie
war. Sie starb, medizinisch gesprochen, an Multipler Sklerose. Woran sie
eigentlich starb, war restlose Erschöpfung. Sie hatte sich selbst
verbrannt in ungeheurer Lebens- und Arbeitsintensität, in einer ihr
feindlichen Zeit.
Sie war Halbjüdin, Katholikin, von Beruf Lehrerin, durch übermächtige
Berufung Dichterin, und sie besaß ein leidenschaftliches Temperament.
Der Entfaltung ihres Talents war ihre Heimat denkbar günstig: der
heiße vulkanische, fruchtbare Boden Rheinhessens. Tatsächlich
begann sie früh zu schreiben. Ihre Gedichte verraten die spätere
Meisterschaft. Um ihre Sprachmächtigkeit zu zeigen, lese ich eines
ihrer Gedichte, ich hätte viele andere gleichwertige auswählen
können, aber diese eine liebe ich:
Wehe, schon vor aller Zeit
weiß ich jene Namen,
doppelhäusig und bereit,
überall zu samen,
Wo Natur in dunklem Drang,
sich zu übersingen,
mit der Hornungsschelle Klang
bettelt bei den Dingen,
Und in Lethes fahlem Schein
rückend Krug um Krüge
von der Klangschwelle Stein,
Lüge tauscht um Lüge:
Öl und Nektar sind erkrankt,
Honig dorrt am Grunde,
aber Giersch und Günsel rankt
Hekate zum Munde,
Wegerich und Beifuß knüpft
Hermes die Sandale,
zwischen Fingerkräutern schlüpft
Kore aus dem Saale.
Ihre Unke labt mit Milch
kühler Märzenbecher,
Klettenkugel stopft wie Zwilch
Plutons Steingemächer,
Wo Natur in dunklem Drang,
tiefer sich zu gatten,
mit der Hornungsschelle Klang
bettelt bei den Schatten...
Und ein anderes, auf Anhieb leichter zu
verstehen:
Begreift ihr nun? Mein Ursprung ist
der Hauch.
Ein Hauch ist nichts. Und ist der Name auch.
Erfühlt es tief. Mein Ende ist
der Duft.
Sehr sanft entlässt ihn meines Namens Gruft.
Die Gruft ist leer. O neu gehauchtes
Glück:
Die Welt strömt ein. Ich atme sie zurück.
Dieselbe Sprachintensität zeigt ihre
Prosa. Ich lese Ihnen ein kleines Beispiel aus dem „Unauslöschlichen
Siegel“. Nein das ist aus „Proserpina“.
„...Das furchtlose Heer der Gladiolen ertrug mit klirrenden Blättern
die Mittagshitze; in der trockenen Kalkerde der Gegend wurzelten voll
wilder Entschlossenheit die leidenschaftlichen Nelken und nahmen um des
nackten Daseins willen ihre gefiederte Fülle zurück... und wie
Salbengefäße der Toten, welche die Zeit zu schließen
vergessen hatte, hauchten sich mit quälendem Wohlgeruch die Lilien
aus.“
Ich wollte ich hätte so etwas geschrieben.
Oder aus „Das unauslöschliche Siegel“: „...Von
dem Graben herauf schlug ihnen der Dunst des stehenden Wassers entgegen;
die schwere, süßliche Luft der Fäulnis, die das Wasser
bebrütete und seine Fruchtbarkeit von dem Maß der Verwesung
abhängig machte. Im Hochsommer würden die armen Gärten,
zwischen denen der Weg sich hinzog... diesen Duft mit dem reinen, starken
Geruch der frisch begossenen Kräuter besiegen: der Pimpinelle, des
Borretsch, des Dill und der würzigen Petersilie; mit dem Atem der
Goldraute... und der wuchernden Fülle der Flatterrosen, in deren
unveredeltem Grundriß sich das Geheimnis der mystischen Rose am
deutlichsten wiederspiegelt. Sie alle würden die Wasserlilien, den
Tang, das Mädesüß und die fetten, schlaffen Sumpfdotterblumen
wie alte Sünden vergessen machen und das unbeständige menschliche
Herz den Frieden der Fleißfrüchte lehren...“
Das ist schöne deutsche Prosa.
Es gibt frühe sehr starke Geschichten, hineingestellt in wilde Kriegszeiten
und in die heftige andrängende Natur ihrer Heimat. Geschichten, die
schockierten. So schreibt doch keine anständige Frau, so darf doch
keine Katholikin schreiben, das ist doch schamlose heidnische Sinnlichkeit:
Szenen wie die Begattung der Schwäne oder die todbringende Vergewaltigung
der hochschwangeren Wirtin durch den eigenen wüst besoffenen Ehemann.
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Erarbeitung:
Susan Hiep
Ariane Neuhaus |
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